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  • Inox

An den Ufern des Dnepr

Aktualisiert: 16. Mai 2020

Erster Tag

Mit sowjetischer Freundlichkeit wurden wir vom ukrainischen Grenzbeamten empfangen, der mit strengem Blick, einen nach dem andern, unsere Pässe kontrollierte. Doch die Papiere schienen in Ordnung zu sein, und so standen wir schon bald vor dem Ankunftsgebäude des Kiewer Flughafens und konnten unsere Uber bestellen. Drei Fahrzeuge waren nötig für unsere Zehnerschar und drei Erlebnisse erzählten wir uns bereits in der Lobby unseres Hotels in der Innenstadt.

Während bei den einen der Fahrer sein ganzes Hab und Gut im Auto gelagert hatte, wies beim zweiten die Frontscheibe gefährliche Risse auf, und bei den Dritten sass wohl Michael Schumacher hinter dem Steuer. Doch alle Fahrer hatten gemeinsam, dass sie die fast halbstündige Fahrt entlang von sowjetischen Plattenbauten und neuen Hochhäusern trotz des für uns ungewohnten Gewusels auf den Strassen unfallfrei meisterten. Nach dem Check-In im Aloft-Hotel blieb noch kurz Zeit, um sich mit einem Getränk zu stärken und den Rhythmus der Stadt zu fühlen, ehe wir um 19 Uhr im Restaurant „Beef Wine&Meat“ zusammenkamen.

Milan, Organisator, Reiseleiter und Reisehohes in einem, hatte uns für den restlichen Abend einen Tisch im „Sorry, Babushka“ reserviert und traf mit dieser Wahl ins Schwarze. Zu einer bunten Mischung aus Popklassikern, House und Russendisko herrschte eine ausgelassene Stimmung und wir mischten uns unter die tanzwütigen Ukrainerinnen und Ukrainer auf den Dancefloor. Diese ausgelassene und doch sehr friedliche Stimmung kombiniert mit den sehr tiefen Preisen lassen mich diesen Club allen künftigen Kiew-Fahrern wärmstens empfehlen.Der Name war Programm und als uns der Kellner fragte, ob er uns das Fleisch präsentieren dürfe, waren wir gespannt, wie er dies zu tun gedachte. Wir staunten nicht schlecht, als er mit einem mindestens zehnterschweren Tablar aus massiver Eiche erschien, auf dem sich Berge von rohen Fleischstücken türmten. Kenntnisreich nahm er ein Stück nach dem anderen in die Hand, erklärte um welchen Teil des Rindes es sich handelt, wie die Konsistenz und der Geschmack ist, und wie die Maserung verlief. Dass er uns nicht auch noch ein Video über das glückliche Leben des Rindes zeigte, grenzte schon fast an ein Wunder. Auf jeden Fall aber hatte er unsern Appetit geweckt und nach einer kurzen Vorspeise aus verschieden Buscetta-Variationen kam der auf Holzkohle gebratene Hauptgang. Der Kellner hatte nicht zu viel versprochen und egal ob Rib-Eye, T-Bone oder Filet Mignon, die Qualität des Fleisches war hervorragend und die Köche hatten den Garpunkt perfekt erreicht. Satt und glücklich zahlten wir die Rechnung, welche zwar für ukrainische Verhältnisse hoch war, aber angesichts der Qualität doch deutlich unter dem schweizerischen Preisniveau lag.


Tag 2

Der Kirchenbesuch schien anstrengend gewesen zu sein, und so brach die Hälfte der restlichen Gruppe zu einem sehr späten Mittagsschläfchen in Richtung Hotel auf, während wir dem Andreashang in die Unterstadt folgten. Entlang einer ruhigen Strasse schlenderten wir gemütlich an hübschen Häuschen vorbei, und die Sonne drückte gerade noch rechtzeitig durch die Wolken, um die goldene Spitze der St. Andreaskirche zu erleuchten. Unten angekommen führte eine Strasse zur Talstation der Seilbahn, die wir benützen wollten. Die Strasse war für den Verkehr gesperrt und hatte sich in eine gemütliche Spaziermeile gewandelt, und so gelangten wir bequem und ruhig zur Bahn. Das herzige Bähnchen aus den Sechzigerjahren brachte uns leicht rumpelnd auf die Höhe der Kathedrale zurück und von dort folgten auch wir endlich ins Hotel nach. Gerade noch rechtzeitig fanden wir den Weg zurück in die Lobby, und kaum angekommen stand wieder ein Restaurantbesuch auf dem Programm. Der Ausfall vom Morgen war wieder genesen, und auch die Tschernobyl-Reisenden trafen strahlend im Restaurant ein, und einmal mehr füllten wir uns gut und günstig die Mägen. Das Essen wurde durch einen Kiew-Cake abgerundet, der ebenso gut schmeckt wie nährt. Fast kullernd begaben wir uns wieder zu einem Uber und liessen den Abend in der Disco „Disco“ ausklingen. Wenn man sich nicht von den bewaffneten Security am Eingang abschrecken liess, war dieser Club ebenfalls ganz gut, allerdings konnte er nicht ganz mit dem Sorry, Babushka mithalten.Während sich eine dreiköpfige Splittergruppe bereits am frühen Morgen aufgemacht hatte, um an einer Exkursion nach Tschernobyl teilzunehmen, rief der Reiseleiter um 10.30 Uhr zum Apell in der Hotellobby. Bei einem Sollbestand von 10 Personen und 3 Abwesenden hatte der letzte Abend lediglich einen Ausfall gefordert, und so ging es zu sechst zum Maidanplatz, um an der „Ancient Kiev Tour“ teilzunehmen. Ludmilla, unsere Stadtführerin, verstand ihr Handwerk und klärte uns kompetent über die Geschichte Kiews auf, brachte uns die wichtigsten Kirchen, Bauten und Denkmäler näher und führte uns zu ihren Lieblingsplätzen. Dabei zeigte sich wieder einmal, wie unterschiedlich historische Sichtweisen sein können. Während Ludmilla die skandinavischen Elemente des Kiewer Rus grösstenteils ausser Acht liess, überschätzen wir gerne die warägischen Einflüsse. Nach guten zwei Stunden war die Führung leider zu Ende und wir suchten ein nettes Restaurant auf, wo wir uns gut und günstig die Bäuche vollschlugen. Zum Verdauen stand bereits die nächste Besichtigung an. Die Sophienkathedrale war ein weiteres Highlight, dass vier von uns sich nicht entgehen lassen wollten. Die Wurzeln dieser imposanten Anlage reichen bis in das 11. Jahrhundert zurück. Allerdings spiegelt sich in ihrer Geschichte die Geschichte Kiews wieder, sie wurde unzählige Male beschädigt und zerstört. Die heutige Form ist im ukrainischen Barock gehalten, welcher vor allem durch italienische Baumeister im 17. Jahrhundert eingeführt wurde. Nach der kommunistischen Diktatur, während der die liturgische Nutzung der Kirche verboten war und die Kathedrale wieder einmal massive Beschädigungen verkraften musste, wurde sie, nachdem die Ukraine unabhängig geworden war, wieder restauriert und der Kirche übergeben. Da sich allerdings die ukrainisch-orthodoxe, die russisch-orthodoxe und die römisch-katholische Kirche nicht über eine Nutzung einigen konnten, nahm der Staat die Kirche wieder zurück und hält sie nun als Museum für die Bevölkerung offen.

Tag 3

Tags darauf versammelten wir uns vollzählig zur üblichen Zeit am üblichen Ort um 10.30 Uhr in der Hotellobby und mussten leider bereits Wumm verabschieden, der am Montagmorgen einen Termin in der Schweiz hatte. Trotz diesem schmerzhaften Verlust verfolgten wir unser dichtes Programm weiter und trafen an der tiefsten Metrostation der Welt, der Arsenalna, auf unseren Guide. Zu unserer Freude war es wieder Ludmilla, und in gewohnt kenntnisreicher Manier führte sie uns zum Kiewer Höhlenkloster, dem Petscherska Lawra. Im 11. Jahrhundert wurde das Kloster von zwei Mönchen, die in den Höhlen am Dnepr ein Asketenleben führen wollten, gegründet. Es entwickelte sich zum bedeutendsten Kloster des Kiewer Rus. Trotz vielen turbulenten Zeiten konnte es sich einen wichtigen Platz in der orthodoxen Welt behaupten, wovon der Name Lavra zeugt, ein Ehrentitel, den nur wenige Klöster führen dürfen. Vom ursprünglichen asketischen Gedanke ist heute nicht mehr viel übrig. Die Masse an Gläubigen, welche das Klosterareal bevölkert, erstaunte uns. Den wichtigsten spirituellen Teil des Klosterkomplexes bilden zwei Tunnelsysteme, die sich aus den ursprünglichen Höhlen der zwei Gründermönche herausgebildet haben sollen. Steigt man in die engen Gänge hinab, sieht man den Wänden entlang die schlichten und meist durchsichtigen Sarkophage von Mönchen aufgereiht, deren Leichen angeblich nie verwesen. Die orthodoxen Gläubigen sehen in diesem Phänomen den Beweis, dass diese Mönche Heilige sein müssen, und verehren sie deswegen. Die Gänge waren voll von betenden Menschen, die sich am Anfang und Ende jedes Sarkophags bekreuzigten und sich dazwischen über dem Gesicht der Mönche verneigten, bis ihr Mund den Deckel des Sarkophags berührte. Nach dem wir wieder die Erdoberfläche erreichten und die Strahlen der herbstlichen Sonne uns erwärmten, ging es weiter zum oberen Teil der Klosteranlage, wo diverse Kirchen auf uns warteten. Auch hier ist die Architektur vom ukrainischen Barock geprägt. Anders als in Westeuropa ist der Grundriss meist rund um die Hauptkuppel aufgebaut, ein Kirchenschiff sucht man vergeblich. Die Aussenwände sind symmetrisch und nehmen klassizistische Merkmale auf, wobei Halbsäulen eindeutig dominieren. Auf dem Dach thront an praktisch jeder Ecke eine vergoldete Blüten- oder Birnenkuppel. Mit Ornamenten und Verzierungen ging man anders als im Westeuropäischen Barock sparsamer um. Allerdings ändert sich dies schlagartig, sobald man die Kirchen betritt. Selten zuvor bekamen wir solch prunkvoll ausgestatte Kirchen zu sehen! Sämtliche Wände sind von oben bis unten mit kunstvollen Fresken bemalt, riesige goldene Wände, kunstvoll geschnitzt, bemalt und verschnörkelt reichen bis an die Decke und trennen den Kirchenraum vom Allerheiligsten. Ikonenbilder werden von einer grossen Schar Gläubiger gestenreich verehrt und brennende Kerzen machen eine künstliche Beleuchtung fast überflüssig. 

Erst am Nachmittag verabschiedeten wir uns von Ludmilla, gingen durch die tiefen der Arsenala mit der Metro zurück in die Innenstadt und wechselten von den durch die Antike inspirierten Kirchen in ein amerikanisch inspiriertes Burger-Lokal, wo wir uns wieder einmal die Bäuche vollschlugen. Während sich einige nach dem Essen eine kleine Pause gönnten, zogen wir zu viert zur „Mutter Heimat“ einer riesigen Frauenstatue auf einer noch grösseren Säule auf einem noch grösseren Sockel. Die sowjetische Handschrift dieser Architektur war unverkennbar. Ziel war das Weltkriegsmuseum im Sockel der Statue. Doch die Statue liegt in einem grossen Park, in dem alte sowjetische Panzer und Waffensysteme ausgestellt sind. Unser Oberst im Generalstab a.D. Rätikon war sofort Feuer und Flamme. Hatte er noch zu seiner aktiven Dienstzeit das Reglement „Streitkräfte Ost“ trocken auswendig lernen müssen, standen nun die Studienobjekte eins zu eins vor ihm. Die Ausbildung musste gründlich gewesen sein, denn er konnte immer noch die meisten Panzer treffsicher bestimmen. Einzig mit dem T-64 hatte er manchmal etwas Mühe und hielt ihn gelegentlich für einen T-72. Nach dem wir die Sowjetunion hinter uns gelassen hatten und das Museum betraten, kamen wir allerdings zuerst in den aktuellen Konflikt mit Russland in der Ostukraine. Am Anfang des Weltkriegsmuseum war eine kleine Ausstellung eingerichtet worden, welche den Konflikt aus ukrainischer Sicht erläuterte. Die folgende Ausstellung über den 2. Weltkrieg war stimmig gemacht, wobei allerdings Erklärungen auf Englisch grösstenteils fehlten. Zu erwähnen ist der Raum über die Verbrechen der Nazis in den Konzentrationslagern. Die absolute Grausamkeit dieser Taten wurden durch die Kuratoren mit einfachen Mitteln und wenigen Exponaten so bedrückend dargestellt, dass einem schon ab Betreten des Raumes übel wurde und sich ein Bewusstsein für die unvorstellbare Brutalität der Nazis tief einbrannte.

Vom Museum ging es wieder zurück zum Hotel. Leider waren wir etwas spät dran, doch Milan hatte uns die Adresse des Restaurants mitgeteilt, und so fanden wir alle im „Last Barrikade“ am Maidan wieder zusammen. Das Restaurant ist eine Anspielung auf die Revolution von 2014. Das Restaurant ist sehr stimmig gemacht und erscheint im Stil einer geheimen Bar. Den Eingang zu finden war bereits nicht ganz leicht und für den Einlass mussten wir ein Passwort sagen. Ludmilla hatte es uns zwar verraten aber natürlich hatten wir nicht richtig zugehört und es bereits wieder vergessen. So blieb uns nichts anderes übrig mit hungrigen Mägen die Aussprache zweier im kyrillischen Alphabet geschrieben Wörter zu erraten, welche uns der Torwächter in verdankenswerter Weise übergab. Das Essen schmeckte hervorragen und die Preise waren wieder einmal sehr tief. So erstaunt es nicht, dass nach dem Essen ein Verdauungsspaziergang folgte, der in einer Bar neben unserem Hotel endete. Gemütlich liessen wir dort den Abend ausklingen, ehe wir beizeiten ins Bett gingen.

Letzter Tag

Am Montag stand bereits der Rückweg an und am späten Vormittag führten uns drei Uber an den Hochhäusern und Plattenbauten der äusseren Stadtbezirke vorbei zurück zum Flughafen, von wo aus eine sehr schöne, lehr- und erlebnisreiche Studienreise mit einem Flug der Swiss ihren Abschluss fand. Ganz herzlich möchte ich mich bei unserem Reiseleiter und lieben Farbenbruder Milan für das Organisieren der Reise bedanken. Dein grosser Einsatz hat sich ausbezahlt, wir alle haben die Reise richtig genossen, und freuen uns bereits jetzt auf die nächste Studienreise by Milantours.

Vivat, Crescat, Floreat SSS!

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